Unbewußte Bewegungsabläufe bzw. lang andauernde Verspannungen bestimmter Muskeln sind die Ursache für akute, viel häufiger aber für chronische Schmerzzustände unseres Bewegungsapparates. Auch im Kiefer-Gesichtsbereich kommen sie sehr häufig vor.
Dauerspannung der Kau- und Gesichtsmuskulatur, oft verbunden mit intensivem Zahnkontakt – am bekanntesten ist das Zähneknirschen oder Zähnepressen – kann die Ursache für Gesichts- und Kopfschmerzen sein. In der Regel merkt der Mensch gar nicht, daß entweder einzelne Zahnpaare oder die gesamten Zahnreihen aufeinander gepreßt oder aneinander gerieben werden. Solche stereotypen Verhaltensmuster sind nicht nur völlig nutzlos, im Gegenteil, sie schaden ganz erheblich unserem Zahnsystem, der Kaumuskulatur und den Kiefergelenken. Das kann auch nicht verwundern, wenn man bedenkt, daß in wissenschaftlichen Untersuchungen Anspannungsphasen beschrieben werden, die ohne Unterbrechung bis zu 45 Minuten dauern können. Der dabei gemessene Kaudruck ist um ein Vielfaches stärker als beim normale Kauen.
Solche automatisierten, meist unbewußten Verhaltensweisen können sowohl in der Nacht als auch am Tage auftreten.
Welche Schäden können entstehen
Werden Muskeln kurzzeitig überanstrengt, entsteht der Muskelkater; jeder weiß das. Wenn es aber zu einer dauerhaften Überanstrengung kommt, verändern sich die Muskelfasern. Der Muskel verhärtet sich, es entstehen kleine schmerzhafte Knötchen und der Bewegungsablauf, das heißt das Zusammenspiel zwischen den Muskeln und Gelenken, ist krankhaft verändert.
Durch derartige Belastung kann es sowohl zu entzündlichen Prozessen der Gelenkflächen und der Gelenkkapsel als auch zu einer erheblichen Schädigung des Bandapparates kommen. Außerdem kann sich die Lage der Gelenkscheibe in einem oder in beiden Kiefergelenken verändern und die Patienten bemerken als Zeichen dafür ein Knackgeräusch bei der Bewegung des Kiefers. Mitunter kann die Scheibe auch so extrem verrutschen, daß sie die Mundöffnung teilweise oder total blockiert. Der Mund kann nicht mehr richtig geöffnet werden.
Gravierende Schäden können auch an den Zähnen entstehen. Obwohl der Zahnschmelz zu den härtesten Substanzen überhaupt gehört, wird er durch die großen Kräfte beim Zähnepressen und Reiben schwer geschädigt. Besonders an den Schneidekanten entsteht ein Abrieb in Form von Schliffflächen. Anfangs betrifft es nur die Schmelzbereiche, später wird auch das Zahnbein angegriffen. Man spricht von einzelnen Abrasionen oder von einem Abrasionsgebiß, wenn so gut wie alle Zähne betroffen sind. Langsam wird die Zahnkrone immer kürzer. Als Reaktion auf die Schädigung zieht sich das Zahnmark mitunter in die Zahnwurzel zurück oder es stirbt ab. Der Verlust der Zahnhartsubstanz kann so ausgeprägt sein, daß schließlich keine Zahnkrone mehr existiert und nur noch die Zahnwurzel sichtbar ist.
Durch den extremen Druck entstehen vielfach auch Defekte am Zahnhals (zwischen Zahnkrone und Zahnwurzel). Der Schmelz ist in diesem Bereich am dünnsten und deshalb kann sein Gefüge hier am leichtesten zerstört werden.
Oft kommt es auch zu Schmelzrissen – feine Linien im Schmelz – oder Schmelzfrakturen an den Schneidekanten. Ab und zu bricht auch mal ein ganzer Zahn in der Längsachse durch.
Ein großes Problem ist auch das unbewußte „Zungenpressen„, speziell für den Zahnhalteapparat. Wenn im Laufe eines längeren Zeitraums zwischen den einzelnen Frontzähnen Lücken entstehen, so ist hier oft der starke Druck der Zunge von innen gegen die Frontzähne für die Veränderung der Zahnstellung verantwortlich. Sogar Zahnlockerung kann die Folge davon sein.
Eine Behandlung ist notwendig
Gymnastische Übungen, Massage und Wärmebehandlung helfen, die verspannten Muskeln wieder zu entspannen. Man kann auch Entspannungstechniken wie das Autogene Training erlernen. Erfolg auf lange Zeit wird jedoch nur dann erreicht, wenn der Mensch lernt, diese unbewußten Anspannungsmechanismen zu vermeiden und die Muskeln ganz bewußt zu entspannen.
Derartige Störungen der Muskel- und Gelenkfunktion kommen überall am Körper vor. Es gibt aber Regionen, wo sie besonders häufig beobachtet werden z. B. im Nacken- und Schulterbereich, der Wirbelsäule (vorwiegend als „Rückenschmerzen„) und natürlich im Kiefer-Gesichtsbereich (Gesichtsschmerz, Schläfenkopfschmerz).
Um das Zähnepressen und Zähneknirschenzu beeinflussen, müssen Patienten zuerst lernen, auf das Fehlverhalten aufmerksam zu werden. Sie sollten sich in den verschiedensten Situationen beobachten, wie sie ihre Zähne und ihren Kiefer gerade halten.
Die richtige Haltung ist die „Ruheschwebe„, d. h. der Unterkiefer befindet sich in einer Schwebehaltung, die Kaumuskeln sind weitgehend entspannt und die Zähne des Ober- und Unterkiefers berühren sich nicht. Zwischen ihnen ist ein Spalt von 2-3 mm. Nur beim Essen und Schlucken haben die Zähne normalerweise Kontakt. Bemerkt man jedoch, daß die Zähne aufeinander gepreßt sind oder aneinander reiben, sollte man unbedingt versuchen, sich diese Verhaltensweise abzugewöhnen. Je häufiger man sich beobachtet und die Haltung korrigiert, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß man es auch schafft. Eine sogenannte Beißschiene, die vorwiegend nachts getragen wird, verhindert eine weitere Schädigung der Zähne. Das Pressen oder Knirschen gewöhnt man sich in der Regel durch diese Schienen aber nicht ab.
Vielfach jedoch entsteht diese Fehlverhaltensweisen als körperliche Reaktion auf Anspannung, Belastung und Streß, aber auch bei Kummer und Sorgen. Jeder kennt die Redewendung: „Beiß die Zähne zusammen…..„ oder „Ich kaue alle meine Probleme durch„. Wird in solchen schwierigen Lebenssituationen ein bereits vorhandenes Pressen intensiver, können auch Schmerzen oder andere Beschwerden entstehen, die später „wenn das Problem gelöst ist„ wieder verschwinden, manchmal für immer, manchmal kommen sie in ähnlichen Situationen jedoch wieder. Von vielen Patienten wird deshalb ein Wechsel von Schmerzphasen und schmerzfreie Zeiten beobachtet.
Schafft man es nicht allein oder sind schon starke Kiefer- oder Zahnschmerzen entstanden, sollte unbedingt mit der Behandlung begonnen werden.